Insulea - Mein Leben mit chronischen Erkrankungen

Ein Blog über meinen Alltag mit Diabetes Typ 1, Asthma, POTS und Endometriose.

"Aber man kann doch gut damit leben" - Warum ich dieses Argument als Mensch mit Diabetes nicht mehr hören kann

Seit einem Jahr schon bin ich jetzt andauernd krank und es hat zwar nicht so lange gebraucht, zu merken, dass etwas nicht stimmt, aber ich habe es als „nicht so schlimm“ abgestempelt und verdrängt. Ich möchte in diesem Beitrag nicht näher auf den Krankheitsverlauf oder -symptome eingehen und es ist ohnehin noch keine abschließende Diagnose gestellt. In diesem Beitrag geht es darum, eine „unsichtbare“ Erkrankung zu haben und damit zu leben.

Man kann damit doch gut leben
Meine Erkrankung kann mir nicht angesehen werden, aber für mich ist sie immer präsent. © Tim K.

Wenn ich erwähne, dass ich Diabetes habe, kommt neben diversen Beileidsbekundungen auch oft die Phrase „aber damit kann man ja heute gut leben“. Dazu könnte ich einen ganzen Roman schreiben, aber ich möchte meine Antwort kurz* fassen:

Ja, ich kann damit leben. Es ist ein zusätzlicher Aufwand jeden Tag für den Rest meines Lebens, welcher jeden Tag anders groß oder klein ausfällt.
Viele der Entscheidungen, die ich täglich für meine Diabetestherapie treffen muss, passieren fast schon automatisch und fallen mir nur auf, wenn ich darüber nachdenke. Ich bin es gewohnt.
Ich bin es gewohnt, jeden Morgen als Erstes meinen Blutzuckerwert zu checken und zu überlegen, was ich zum Frühstück essen möchte und wann ich dann am Besten mein Insulin spritzen sollte. Ich muss überlegen, was ich in den nächsten Stunden vorhabe und wie diese Dinge meine Blutzuckerwerte beeinflussen können. Ich muss daran denken, ob ich den Tag davor Sport getrieben oder meine Periode habe; je nachdem ist meine Insulinsensitivität unterschiedlich hoch und dementsprechend benötige ich weniger oder eventuell mehr Insulin. Ich muss daran denken, Traubenzucker oder Saft und kleine Snacks für eventuelle Unterzuckerungen sowie eine Ersatzpumpe und Insulin für den Tag einzupacken. Bei jeder Mahlzeit muss ich daran denken, die Kohlenhydrate zu berechnen und dementsprechend Insulin abzugeben. Auch zwischenzeitlich muss ich meine Blutzuckerwerte an meine Aktivitäten anpassen. Dann muss ich meine Pumpe oder meinen Sensor wechseln. Auch hier muss ich bestimmte Dinge beachten, zum Beispiel, wo ich die Pumpe setze, damit das Insulin bestmöglich absorbiert wird.

Es frustriert mich, immer mein Bestes für meine Gesundheit geben zu müssen (und manchmal hilft es trotzdem nicht)

Es gibt bestimmte Situationen, in denen ich mich aufgrund meiner Blutzuckerwerte nicht gut fühle oder sogar Hilfe benötige. Manchmal brauche ich auch einfach nur Zeit, um mich von einem niedrigen Blutzuckerwert zu erholen oder um bei hohen Blutzuckerwerten wieder klar denken zu können. Es gibt noch viele andere kleine Dinge, die sich auf die Werte auswirken können. Und manchmal ist es einfach so, dass ich nicht weiß, warum die Werte verrückt spielen.
Es ist sehr frustrierend, wenn ich sehr diszipliniert bin und alles mir Mögliche versuche und es trotzdem nicht klappt. Manchmal gleichen meine Werte einer Achterbahnfahrt und dementsprechend fühle ich mich dann auch müde und schlapp, häufig habe ich Kopfschmerzen davon.

Ja, ich kann mit Diabetes leben. Ich kann in der Regel ein aktives Leben führen und alles tun, was Menschen ohne Diabetes tun.
Aber und das ist es eben: Ich habe eine chronische Erkrankung. Manchmal fühle ich mich deswegen schlecht, physisch oder psychisch. Viele Menschen aus meinem Umfeld würden sagen, dass es sogar fast täglich Vorfälle gibt, in denen ich mich unwohl fühle. Das können so Situationen sein, in denen ich zum Beispiel nach einer Unterzuckerung eine Stunde lang Kopfschmerzen habe und/oder mich schlapp fühle und nicht arbeiten kann oder hohe Blutzuckerwerte, die mir das Konzentrieren erschweren. Das kann ebenso eine nächtliche Unterzuckerungsphase sein, die ich noch den ganzen nächsten Tag in meiner körperlichen Verfassung nachspüre.

Es gibt Situationen, Vorfälle oder eben Zustände, in denen ich diese Erkrankung deutlicher spüre, in denen mich Diabetes belastet und einschränkt und es eben gar nicht leicht ist, damit zu leben.


Natürlich könnte ich in solchen Situationen einfach immer wieder ins Bett gehen, aber das möchte ich nicht. Ich möchte ja mein Leben leben und aktiv sein und viel erleben. Und dann passiert es eben doch, dass ich die Dinge einfach durchziehe, obwohl es mir schlecht geht.
Was mich zu einem anderen Problem bringt: Die Menschen sehen mir meine Erkrankung nicht an. Sie wissen in den meisten Fällen, dass ich Diabetes habe und sie sehen zuweilen meine Pumpe oder meinen Sensor, aber sie sehen nicht, wie es mir geht und wie ich mich fühle. Im Englischen wird oft anstelle von „chronischer Krankheit“ von einem „chronischen Zustand“ (chronic condition) gesprochen und ich finde das oft passend.
Ich habe Diabetes und bin damit chronisch, aber nicht akut, krank. Trotzdem gibt es diese Situationen, Vorfälle oder eben Zustände, in denen ich diese Erkrankung deutlicher spüre, in denen mich Diabetes belastet und einschränkt und es eben gar nicht leicht ist, damit zu leben. Ich finde es sehr schwer, das Menschen zu erklären, die keine chronische Erkrankung haben. Weder möchte ich sagen, dass es sehr wohl schwer ist und ich damit nicht leben kann, noch möchte ich sagen, dass es super einfach ist, chronisch krank zu sein.
Ich möchte mit meiner chronischen Erkrankung und ihren Einschränkungen ernstgenommen werden. Ich möchte verstanden werden. Ich möchte nicht, dass mir die Schwere dieser Situationen abgesprochen werden. Ich möchte aber auch nicht, dass Menschen mich dafür bemitleiden oder mich für schwach halten. Ich möchte nicht, dass sie mich als krank ansehen oder als nicht belastbar.

Diabetes Heldin
An diesem Abend ging es mir nicht so gut, aber ich war trotzdem auf einer Veranstaltung. Warum? Weil ich mein Leben aktiv leben möchte! 

Sprecht mir meine Lebensrealität nicht ab!

Ich glaube, dass es schwierig sein kann, diese Situationen zu verstehen, weil ich nicht krank aussehe. Vielleicht wirke ich in solchen Situationen dann eher abweisend oder schlecht gelaunt. Manchmal möchte ich auch nicht erklären, was gerade wieder los ist, weil es mich selber nervt, dass es oft solche Situationen gibt. Die Angst, zu viel darüber zu reden und zu „jammern“ ist dabei ebenfalls eine Begleitung. Ich will nicht dauernd „die mit den Wehwehchen“ sein oder die, die ständig krank ist. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ich höre, dass ich mir all diese Symptome nur einbilde oder es „gar nicht so schlimm“ sei und ich mich „nicht so anstellen“ solle.
Wer seid ihr denn, dass ihr meine Situation beurteilen könnt? Es gibt keine Skala, die sagt, ab welchem Wert etwas „schlimm“ ist oder einschränkend. Es ist für alle etwas anderes, da wir auch alle eine andere Ausgangssituation haben. Ich möchte, dass wir mehr Empathie füreinander haben und uns gegenseitig ernst nehmen. Wenn ich sage, dass mich meine Erkrankung zuweilen belastet und einschränkt, dann ist das meine Lebensrealität, die mir nicht abgesprochen werden kann.

Nein, es liegt nicht alles am Diabetes!

Zurück zum Anfang des Textes: Ich bin nicht oft krank, weil ich Diabetes habe, auch wenn mir das oft von Mediziner*innen erklärt wird. Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, aber hat mit meinem Immunsystem ansonsten weniger zu tun. Solange ich gut eingestellt bin, möchte ich davon nichts hören. Und nein, ich habe auch keine Nährstoffmängel. Den Grund werde ich in einem anderen Beitrag mit euch teilen.

*Achtung: Ironie.

3 Kommentare

Unknown hat gesagt…
Sehr, sehr passend. Dem Beitrag kann ich nur zustimmen.
Danke für das Teilen deiner Gedanken, liebe Grüße!
Anonym hat gesagt…
Ich finde es genial wie Du hier Deine Gefühle und Zustände beschreibst. Wie weist Du es mir geht, wie ich mich fühle? Danke für diese Zeilen. Ich hätte meine Zustände nicht zu genial beschreiben können.
Anonym hat gesagt…
Liebe Lea, beim Lesen hatte ich Tränen in den Augen, denn du triffst den Nagel auf den Kopf. Wie oft habe ich, insbesondere in meiner Familie, Probleme damit, verstanden zu werden. Danke, für deine Worte!